Der Krieg: Mittel der Politik!

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Krieg um Souveränität und die Meinungsbildung

Die Wahrheit stirbt nicht nur zuerst, sondern permanent
Wenigstens die Produktion von Unsinn, Schwachsinn und Blödsinn stirbt nicht durch den Krieg; im Gegenteil, die wird offenbar durch die Schlächtereien ziemlich stimuliert:

„Wenn alles wirklich schon so egal ist, dass jemand einen echten Krieg mit dem Kampf gegen fiktive Schwule und fiktive Nazis, und fiktive schwule Nazis, begründen kann, ohne mit Höllengelächter vertrieben zu werden, dann kommt man in eine verzwickte Popkultur-Lage: Man beginnt froh zu sein, dass es Rammstein gibt. Denn bitter nötig wie kaum je zuvor hat man deren Schmierentheater, mit dem sie seit einem Vierteljahrhundert die Dodelei des Faschismus vorführen: Mit dicken Muskeln, noch dickeren Gitarrentönen und noch noch dickerer Betonlyrik lädt die Band zur Geisterbahnfahrt durch brodelnde Männerseelen.“ (Kurier 29.4.2022) Georg Leyrer. (Der Autor ist … zuständig für alles, nichts und die Themen dazwischen: von Kunst über Musik bis hin zur Kulturpolitik. Motto: Das Interessanteste an Kultur ist, wie sie sich verändert.)

Auch so kann man Krieg nicht zur Kenntnis nehmen: Er passt offenbar nicht gut in das bisherige Bild des Kolumnisten von einer im Grunde genommen doch irgendwie gerade noch heilen Welt. Man verfremde also das Feindbild made in Russland – die „fiktiven schwulen Nazis“ – in eine unüberbietbare Absurdität und assoziiere sich in eine ganz „verzwickte Lage der Popkultur“ (!), um damit immerhin über die Band Rammstein „froh“ zu werden, weil, wenn ein Kolumnist die Welt nicht mehr versteht, das ohne Zweifel was mit Faschismus zu tun hat, was wieder die profilierten Faschismuskritiker von Rammstein ins rechte Licht rückt, die den Faschismus je schon als Dodelei auf Basis „brodelnder Männerseelen“ vorgeführt hat, was offenbar Orientierung schafft, im Kulturjournalisten-Universum eines Zuständigen für „alles, nichts und den Themen dazwischen“ …

Krieg: Mittel der Politik!

In diesem Sinn nochmal von vorn: Der Krieg ist Mittel der Politik, ob mit oder ohne Berufung auf Clausewitz; das gilt auch für den aktuellen Krieg. Angesichts dessen, dass alle Staaten mitten im Frieden rüsten, dass sogar Österreich ein Heer samt Wehrpflicht hat, auch wenn für Österreich seit über 100 Jahren der Krieg keine Option ist – was ist da los?! Und wenn dann Waffen tatsächlich dafür eingesetzt werden, wofür sie angeschafft werden – dann passt das so gar nicht zu den Zuständen, wie man sie kennt und schätzt, oder zumindest in Kauf nimmt!? Auch wenn die diversen Kriege der letzten Jahrzehnte allesamt im Gedächtnis oder wenigstens im Zeitungsarchiv abgelegt wurden? Auch der russische Krieg ist Mittel der Politik, die berechnende, geplante Zerstörung von Land und Leuten dient dem Zweck, die Mittel des anderen Staates zu zerstören und ihn darüber zu Zugeständnissen zu zwingen, zu einem Regimewechsel etwa. Diese Sicht ist aber nach Lage der Dinge offenbar unerwünscht – das Feindbild sieht es anders, da ist die Zerstörung nicht Mittel, sondern perverser Selbstzweck. Warum? Etwa weil „wir“ so daran gewöhnt sind, in den US-Kriegen die geplanten, berechneten, jedenfalls zweckmäßigen Schlächtereien zu entdecken, und „wir“ also das Gemetzel so schlecht verurteilen könnten, wenn es so wie bei den westlichen Kriegen um nachvollziehbare – also „verständliche“! – Interessen geht?!

Eine Paraphrase von Zbigniew Brzezinski (US-Sicherheitsberater unter Carter) vorweg, die er in verschiedenen Varianten geäußert hatte; der Mann wird gegenwärtig wieder gern zitiert: Die Ukraine ist Russlands Schicksal. Wörtlich etwa: „Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ – „Unter geopolitischem Aspekt stellte der Abfall der Ukraine einen zentralen Verlust dar, denn er beschnitt Russlands geostrategische Optionen drastisch.“ Da muss wohl was dran sein, denn zumindest handeln alle beteiligten Subjekte danach. Eine andere aktuelle Stellungnahme sagt, damit sei endgültig das Ende der Politik von Gorbatschow erreicht.

Russland nach der weltpolitischen Wende

Gorbatschow war ein ziemlich gelungener Repräsentant der damaligen KPdSU – d.h. er war über weite Strecken ahnungslos. Er hatte keine Ahnung vom ökonomischen System der Sowjetunion und auch keine Ahnung vom Kapitalismus. Vom Imperialismus auch nicht. Eine zu harte Behauptung? Nun, der Beleg schlechthin sind die desaströsen Ergebnisse der unter seinem Kommando eingeleiteten ökonomischen „Reformen“, die zu einem beispiellosen wirtschaftlichen Zerfall geführt haben – von einem irgendwie halbwegs zweckgerichteten Eingreifen, von einem rationellen Bezug von politischen Mitteln und ökonomischen Zielen konnte nirgendwo die Rede sein. (Auch westliche sog. „Wirtschaftsexperten“ waren seinerzeit übrigens als „Ratgeber“ eingeladen …) Desgleichen im Verhältnis nach außen: Der brave Mann – aus Sicht des Westens: „unser“ Gorbi – war der Meinung, durch die Abschaffung der überkommenen Planwirtschaft und die Einführung der Marktwirtschaft samt Öffnung für westliches Kapital, durch die Implementierung demokratischer Verfahren in die Politik sowie durch die Auflösung der Bündnisse des Ostblocks – durch Rückzug und Verzicht also könnte sich die Sowjetunion bzw. gleich danach Russland eine irgendwie geachtete Stellung und ein dementsprechend respektiertes Mitmachen „auf Augenhöhe“ im weltpolitischen Konzert der westlichen Demokratien erkaufen. Allerdings, das schon auf Basis des ererbten Status, d.h. als ein aus der restlichen Staatenwelt deutlich herausgehobener immer noch atomkriegsfähiger Gegner der USA, so wollte das Mitglied im UN-Sicherheitsrat Russland als Mitmacher in die Konkurrenz um den Kapitalreichtum der Welt einsteigen. In der Diktion von Brzezinski, als eurasisches Reich mit geopolitischen Ambitionen. Dieser Anspruch hat sich brutal blamiert. Genauer, er wurde blamiert; es gab im demokratisch-kapitalistischen Westen unter der Patronanz der USA einfach keinen Bedarf nach noch einem zusätzlichen gewichtigen „Mitspieler“ beim Kampf um Marktanteile ebenso wie um Einflusssphären. Darunter wollte es Russland aber auch nicht geben, von Anfang an. Vielleicht hätte „unser“ Gorbi auch bemerken können, weswegen das Bündnis „der freie Westen“ so kooperativ daherkommt – nämlich nicht, weil Demokratien von Natur aus friedlich zusammenarbeiten, sondern weil innerhalb des Westens die Rollen von Führung und Geführten macht-mäßig so eindeutig verteilt sind.

Der Name „Putin“ steht für den Kurswechsel von der russischen Devastierung zur Konsolidierung. Der Mann legt bei Amtsantritt im Jahr 2000 eine schonungslos Bilanz der Lage der russischen Nation vor, und macht sich an die Wende. Dazu gehört erst mal der Krieg gegen das separatistische Tschetschenien, durchaus als Exempel gegen ähnliche Tendenzen in der Umgebung; dazu gehört auch die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität nach innen, im dortigen Jargon die „Vertikale der Macht“ genannt – gemeint ist damit schlicht der moderne Elementarzustand eines Gewaltmonopols, dessen Bescheide auch zuverlässig flächendeckend vollstreckt werden. Diese Selbstverständlichkeit moderner Staaten war zehn Jahre lang erodiert. Dazugehörige Stichworte sind auch die Anerkennung von Separatisten an der Südgrenze der russischen Föderation, die sich aus Georgien verabschiedeten, nachdem diese Ex-Sowjetrepublik ins westliche Lager wechselte.

Ebenso zu erwähnen ist die Unterordnung der mit der Marktwirtschaft hochgekommenen russischen Oligarchen durch den an ihnen vollstreckten Auftrag, sie mögen gefälligst ihrer sozialen Verpflichtung nachkommen, als maßgebliche Treuhänder, Verwalter und Manager des russischen Reichtums der Nation; dafür steht die seinerzeitige Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos: Die Privatisierung der sowjetischen Staatswirtschaft war nun einmal nicht so gemeint, dass da einige dubiose Figuren die brauchbaren Bodenschätze an das Ausland verscherbeln – und die Geld-Erlöse auch gleich wieder exportieren bzw. von vornherein in Steueroasen, Luxusjachten und allerlei Investitionen auf dem Globus verschwinden lassen, während der aufzubauende russische Kapitalstandort durch diesen Ausverkauf noch weiter verkommt. Merke: Wenn Russland einen russischen Oligarchen enteignet, dann wird ein gewisser Chodorkowski zum Helden der westlichen Welt, als Repräsentant eines in diesem Fall unantastbaren Privateigentums, und als darüber glaubwürdiger Putin-Ankläger.

Diese ganze Wende in den unnachahmlichen Worten des jetzigen amerikanischen Präsidenten, der über sein letztes Treffen mit Putin der Presse berichtet:

And I think I pointed out to him that Russia had an opportunity – that brief shining moment after Gorbachev and after things began to change drastically – to actually generate a democratic government.  But what happened was it failed … I think he decided that the way for Russia to be able to sustain itself as a great — quote, “great power” is to in fact unite the Russian people on just the strength of the government … (Biden, Pressekonferenz 16.6.2021)

Das waren noch Zeiten, unter Gorbatschow und Jelzin – ein wahrer „shining moment“ –, aber dann kam Putin mit der aus US-Sicht abwegigen Idee, ein funktionierendes Gewaltmonopol einer starken Regierung erhalten bzw. errichten zu wollen.

Mit dem Anspruch auf ein irgendwie gleichberechtigtes und darüber auch gedeihliches russisches Mitmachen im Konzert der Großmächte biss Russland von Beginn an auf Granit, seine ständig angemahnten Ansprüche und Interessen wurden ignoriert und übergangen: Im Zuge der Neuordnung des Balkan – letztlich durch den Bombenkrieg gegen Serbien –, ebenso wie im Nahen und Mittleren Osten durch die diversen Kriege gegen den Irak und Afghanistan und Libyen. Nur dort, wo Russland selber mit Truppen präsent ist – in Syrien, teilweise über Söldner in Libyen – konnte es einen Bündnispartner halten oder auf Mitsprache bestehen. Noch eindeutiger gestalteten sich die NATO-Osterweiterungen – entgegen den damaligen Zusicherungen im Zuge des Anschlusses der DDR – und damit die immer kürzer werdenden „Vorwarnzeiten“ aus der Sicht derjenigen Spezialisten, die den Krieg, auch den Atomkrieg seit Jahrzehnten in ihren Planspielen durchexerzieren, und die damit keine Minute aufgehört hatten: Durch diese Erfahrungen konnte Russland der Feststellung wohl nicht ausweichen, dass es militärstrategisch noch immer als der Feind durch-kalkuliert und ins Visier genommen wird, wie zu Zeiten der klassischen Ost-West-Konfrontation. Gorbatschow hatte sich brutal verschätzt.

Das vorletzte Geltendmachen einer „roten Linie“ durch russische Gewalt datiert mit 2014, damals wurde nach dem Frontwechsel der Ukraine in Form der Unterwerfung unter die EU-Diktate die Krim annektiert und die Separatisten im Osten des Landes unterstützt. In den Abkommen von Minsk im sogenannten Normandie-Format, also unter der Patronanz von Deutschland und Frankreich, wurde dann ein Prozedere beschlossen; dessen politischer Gehalt – jenseits der staatsrechtlichen Einzelheiten – Russland dauerhaft als anerkannte Schutzmacht einer anerkannten russischen Minderheit innerhalb der Ukraine verankern sollte, also in diesem Sinn eine Mitzuständigkeit für deren Angelegenheiten gewährleisten sollte. Die Ukraine hat das Abkommen von Anfang an hintertrieben, wollte in erster Linie Zeit für ihre Aufrüstung gewinnen, was ziemlich gut funktioniert hat, und hat das Abkommen Anfang 2022 offen gecancelt. Dass dabei auch dessen Garantiemächte Deutschland und Frankreich ein Stück weit desavouiert wurden, konnte sich die Ukraine leisten, weil die USA, ebenfalls von Anfang an, dafür Rückendeckung signalisierten.

Dafür „zahlt“ nun die Ukraine einen „Preis“, um es mal in der Manier amerikanischer Präsidenten auszudrücken, die ja Russland seit Jahren etliche „Preise“ zahlen lassen, für jedwedes amerikanisch festgestelltes Fehlverhalten. Warum die Ukraine – ist das nicht ungerecht? Wie man es nimmt.

Die Ukraine nach der weltpolitischen Wende

Die Bilanz der Ukraine 30 Jahre nach der großen weltpolitischen Wende war ähnlich desaströs wie die russische unter Jelzin: Gut gekennzeichnet wird das durch den Status als Auswanderungsland mit schrumpfender Bevölkerung; ca. eine Million ukrainischer Wanderarbeiter sind allein in Polen unterwegs, ein paar Hunderttausend sind in Westeuropa tätig, in Österreich gern als Erntehelfer benutzt, sogar in Russland gab es für etliche Bürger der Ukraine mehr zu verdienen als daheim. Wer sich näher interessiert, möge sich über das Verhältnis von Preisniveau und Lebenshaltungskosten in der Ukraine informieren. (Dazu einige links im Anhang.) Das alles ein sehr folgerichtiges Resultat von: (1) Der fortschreitenden Zerteilung des früheren gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit Russland, der die Zusammenhänge zu Lieferanten und Abnehmern fortschreitend auflöste; (2) der Privatisierung mit dem nunmehrigen Auftrag der marktkonformen Profitproduktion, wofür die Betriebe nun einmal nicht konzipiert worden waren, das hat Teile der Ökonomie plattgemacht; (3) der übermächtigen Konkurrenz der westlichen Konzerne, die auch in der Ukraine auf Besichtigungstour gingen. Wichtige Bereiche der Ökonomie waren nur mehr durch Subventionen zu halten, per Staatskredit. So wurde aus einem früheren respektablen Industrieland eine Wirtschaft, die jetzt für Getreide- und Sonnenblumenölexport bekannt ist, dazu für Vorprodukte auf Basis von Bodenschätzen, und als Transitland für russisches Gas; dirigiert von Oligarchen. Im Jahr der Weltfinanzkrise 2008 war die Ukraine offiziell pleite, also gegenüber den auswärtigen Verbindlichkeiten zahlungsunfähig. Seither hängt sie am Kredit-Tropf des IWF wie Länder der „Dritten Welt“, der IWF verknüpft seine Finanzierung des Landes mit den üblichen Diktaten in Sachen Staatshaushalt, was sich noch einmal verheerend auf die Abteilung „Sozialstaat“ auswirkt. So liest man im Zuge der aktuellen Berichterstattung auch über die wieder wachsende Verbreitung von Krankheiten wie Tuberkulose und Polio. Noch jede bisherige Regierung war in Washington betteln, die US-Regierung möge ihre Kreatur, den IWF, zu mehr Nachgiebigkeit ermuntern, ohne nennenswerte Erfolge. Nach dessen Kategorien ist die Ukraine ein „Entwicklungsland“. Soviel auch zu der Behauptung, die ukrainischen Zustände wären dermaßen unwiderstehlich, dass die russische Bevölkerung auf die Idee kommen könnte, „das wollen wir auch!“, und deswegen gegen Putin bald einen Aufstand machen könnte.

Die diversen ukrainischen Regierungen versuchten auf unterschiedliche Arten, mit den Abhängigkeiten vom Westen – die Schuldenfalle – und vom Osten – die Energielieferungen und noch immer vorhandene ökonomische Beziehungen, zurechtzukommen. Wobei diese Regierungen selber mit der Fragmentierung der Staatsmacht durch die diversen Oligarchen zu kämpfen hatten, die alle ihre Figuren als Abgeordnete im Parlament platzierten, und die durch ihr Eigentum an der Medienlandschaft darüber entscheiden konnten, wer überhaupt als Aspirant auf politische Ämter die nötige Bekanntheit und Popularität erwerben konnte. Der jetzige Präsident ist bekanntlich auch als politisches Projekt eines Oligarchen an die Macht gekommen. Im Westen wurden diese Zustände gern mit den Schlagworten „Korruption“ und „Rechtsunsicherheit“ charakterisiert – soll heißen, dass auch nach dem Import bzw. der Imitation westlicher Gesetzbücher im Alltag dann doch der Einfluss der maßgeblichen Privatinteressen öfter gewichtiger war als der Buchstabe des Gesetzes. In der Bevölkerung erfreute sich die politische Klasse der herzlichen Verachtung, als eine Bande von korrupten Dieben. Und natürlich war die Ukraine auch im Westen bis neulich keineswegs als ein Leuchtturm der „westlichen Werte“ und des „guten Regierens“ bekannt, statt dessen als Adressat von allerlei diesbezüglichen „Reformen“. Dem Komiker-Präsidenten Selenskyj ist das Kunststück gelungen, durch die satirische Darstellung heimatlicher Unsitten populär zu werden – und darüber in die vorher persiflierte Nomenklatura aufzusteigen. Eine seiner früheren kritischen Leistungen war ein eindeutiger Befund zur Lage der Nation, laut wikipedia:

Im September 2016 verursachte Selenskyj in der Ukraine einen Skandal, als er in einer Parodie auf Petro Poroschenko den ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch und den Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko „Bettler“ sowie die Ukraine „eine Schauspielerin eines deutschen Films für Erwachsene“ nannte, die „bereit ist, jede beliebige Nummer auf einer beliebigen Seite zu akzeptieren“. Der Journalist und Politikanalyst Witalij Portnykow bezeichnete daraufhin Selenskyjs Humor als „minderwertig, geschmacklos, bürgerlich und beschränkt“. (wikipedia)

Bekannte Politiker sind „Bettler“ und die Ukraine ist „eine Schauspielerin eines deutschen Films für Erwachsene“, „bereit, jede beliebige Nummer auf einer beliebigen Seite zu akzeptieren“. Von der Metaphorik abgesehen – da verleiht ein Nationalist seinem Leiden an der inferioren Stellung seines Landes Ausdruck, indem er Politiker beschimpft und das Land mit der Darstellerin eines „Erwachsenenfilms“ vergleicht – so jedenfalls seine damalige Einschätzung. Warum ausgerechnet eine Frau, und speziell eine deutsche Pornodarstellerin für die Käuflichkeit und Trostlosigkeit der Politik und des ganzen Landes steht, das weis sicherlich der Verfasser; vielleicht hat da ein Filmkunstwerk einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Die Ukraine war also auf dem besten Weg zu einem „failed state“ bzw. auf diesem Weg schon sehr weit gekommen. Seit dem von der EU erzwungenen Entscheid für den Westen und gegen Russland, und erst recht seit der Annexion der Krim hat das Land eine neue Perspektive. Zwar hätten diverse westeuropäische Länder mit der russischen Annexion der Krim noch ganz gut leben können – Putin wurde einige Monate nachher auf Staatsbesuch („Arbeitsbesuch“) in Österreich von der hiesigen Wirtschaft begeistert akklamiert, und Nord Stream 2 wurde nicht von Deutschland, sondern von Joe Biden endgültig abgesagt. Von den USA, von Frankreich und von Großbritannien wurden die ukrainischen Streitkräfte massiv aufgerüstet und in Kommunikations- und Nachrichtenstrukturen eingebettet, so dass sich das Land einen neuen Status als Frontstaat der NATO – auch ohne formelle Mitgliedschaft – erarbeiten konnte, mit der Hoffnung, kriegsfähig und darüber kreditwürdig zu werden. Der Waffenstillstand an der Grenze zu den Separatistengebieten wurde effizient genützt, so dass sich die Ukraine in einer neuen Militärdoktrin selbst damit beauftragte, diese Gebiete und die Krim zurück zu erobern, wenn auch letztendlich durch ein Eingreifen der „internationalen Gemeinschaft“, also der NATO. Bevor es dazu kam, hat Russland die Initiative ergriffen. In jener Phase wurde der ORF-Korrespondent Wehrschütz angefeindet, für seine Skepsis:

Ich habe immer gesagt: Kein Soldat der NATO wird bereit sein, für die Ukraine zu fallen, arrangiert euch mit Russland! Deshalb war ich ja ein Staatsfeind.“ (Kronenzeitung 6.3.2022)

Nun, das Menschenmaterial für den Krieg stellt ziemlich exklusiv die Ukraine, aber durch Waffenlieferungen und logistische Unterstützung steuern die maßgeblichen NATO-Mächte die Schlächterei inzwischen einigermaßen fein abgestimmt, derzeit mit der Perspektive einer längeren und dauerhaft schwächenden Abnützung der russischen Föderation. In der ukrainischen Führung verfestigt sich das zum Befund, dass dieses Verheizt-werden als nützlicher Idiot der USA und – inzwischen auch – Europas die schlechthinnige Chance der Ukraine ist, als Kriegspartei auf Basis fremder Berechnungen eine Art von nation-building hinzukriegen.

Zur sozialen Lage in der Ukraine:
https://orf.at/v2/stories/2220989/2220990/
https://www.infosperber.ch/politik/europa/100-franken-pro-kopf-18-millionen-ukrainer-leben-in-armut/
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/217169/analyse-sinkender-wohlstand-und-die-anpassungsstrategien-der-bevoelkerung/

Die Bilanz Putins bei Amtsantritt und sein Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/putins-wende-fuer-russland
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/putin-erklaert-den-krieg

Das Ende der friedlichen Eroberung des Ostens:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-europa-geht-an-grenzen-friedlichen-eroberung
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/buergerkrieg-ukraine-eine-neue-weltpolitische-konfrontation
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/minsker-abkommen

Ein failed state als Heimat korrupter Politiker und Oligarchen:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/unsere-ukraine-einziger-grosser-fall-korruption
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-den-zeiten-corona

Die unermüdliche Aufrüstung der USA, oder „Totrüsten 2.0“:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/usa-treiben-entmachtung-ihres-russischen-rivalen-voran

Der Krieg:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-russland-nato

0 Kommentare

  1. Zuerst einen herzlichen Dank für den Vortrag!

    Dann noch eine kurze Anmerkung zu meinen Erfahrungen, die ich mache, wenn ich mit Leuten über dieses Thema rede:
    ich werde ruckzuck als Putinversteher oder gar -freund identifiziert, da kann ich noch so sachlich argumentieren oder auch einfach nur z. B. ein Zitat vom Selenskyj oder von der Baerbock bringen, die vielleicht einen kleinen Zweifel an der Gutigkeit dieser Politiker aufkommen lassen… nein, das will niemand hören, sie werden geradezu ungehalten und sauer, denn offenbar ist nur noch eine Stellungnahme erwünscht: der Putin, dieser Hitler, muss weg. Alles andere nützt dem Feind, und so einer bin dann auch ich, wenn ich nicht meinen Mund halte.
    Die Kriegsmoral vieler Zeitgenossen ist schon recht gefestigt, und ich muss sagen, dass mir ausser den Argumenten wie in diesem Vortrag leider nichts weiter einfällt.

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