07 – Mirjam Janett (Basel) Die „behördliche Sorge“ um das Kind. Kindswegnahmen in Basel von 1945 bis 1972

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Medikalisierte Kindheiten – Die neue Sorge um das Kind vom ausgehenden 19. bis ins späte 20. Jahrhundert
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    17:31
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27:09 Min.
01 - Eröffnung der Tagung Medikalisierte Kindheiten
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28:52 Min.
02 - Maria A. Wolf (Innsbruck) Medikalisierung der Sozialen Frage und wissenschaftliche Neuordnung der Kindheit
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21:39 Min.
03 - Kristina Schierbaum (Frankfurt) Janusz Korczak im Spannungsfeld von Pädiatrie und Pädagogik
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28:34 Min.
04 - Irene Berkel (Innsbruck) Die Neuvermessung der Kindheit in der psychoanalytischen Klinik und Theorie
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30:38 Min.
05 - Klara Meßner und Rodolfo Tomasi (Bozen) Nach zwei Diktaturen zur Demokratie Erwachsenen-, Kinder-Jugendpsychiatrie in Südtirol
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34:18 Min.
06 - Elisabeth Dietrich-Daum (Innsbruck) Die Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl (1947–1987). Projektbericht
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17:26 Min.
08 - Keber Katharina (Ljubljana) Post WWI children healthcare in Central Slovenia as experienced by Angela Boškin, the first Slovenian home care nurse
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39:43 Min.
09 - Christine Hartig und Sylvelyn Hähner-Rombach (Ulm und Stuttgart) Institution, Zeitzeugen, Narration. Re-Konstruktionen der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation
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27:28 Min.
10 - Elisabeth Malleier (Wien) Die Sorge, meine Akte und ich

Die „behördliche Sorge“ um das Kind. Kindswegnahmen in Basel von 1945 bis 1972
Mirjam Janett (Basel)

Mit der fortschreitenden Politisierung und Ökonomisierung der Gesundheit im 20. Jahrhundert rückten das Kind und sein Verhalten in den Fokus der staatlichen Behörden. In der Schweiz schufen die Kinderschutzbestimmungen des 1912 eingeführten Zivilgesetzbuchs die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Behörden, Kinder bei «Gefährdung» aus ihren Familien zu nehmen und an einem in ihren Augen geeigneten Ort unterzubringen. Waren es vorher eher armenrechtliche Motive, die zu einer Versorgung von Kindern und Jugendlichen führten, waren fortan hauptsächlich fürsorgerisch-prophylaktische Beweggründe ausschlaggebend. Obwohl die rechtlichen Bestimmungen zum Schutz des Kindes vorgesehen waren, dienten sie im Laufe des 20. Jahrhunderts vermehrt der Sanktion von gesellschaftlich nicht tolerierter Devianz. Verhaltensweisen, die mit den gesellschaftlichen Normen und Werten kollidierten, setzten die Betroffenen den Zugriffen von staatlichen Behörden aus; zudem wurde ihr Verhalten zum Gegenstand sowohl medizinischer als auch psychiatrischer Expertisen. Der Tagungsbeitrag behandelt den Kanton Basel-Stadt, der im nationalen Vergleich früh über eine professionalisierte Kinder- und Jugendfürsorge verfügte. Der Beitrag untersucht, wie die Akten der Vormundschaftsbehörde zwischen 1945 und 1972 die Kindsgesundheit adressierten und inwiefern diese – sowohl in ihrer psychischen als auch physischen Dimension – ausschlaggebend für eine Fremdplatzierung war. Die Behörde verfolgte mit der Fremdplatzierung in Heime und Erziehungsanstalten, aber auch in psychiatrische Kliniken das «biopolitische» Ziel, die Kinder einer hegemonialen Normalitätsvorgabe anzupassen und sie «gesellschaftsfähig» zu machen. Die Sorge um das Kind führte somit paradoxerweise zu systematischen Zugriffen auf die Kinder mit der Intention, ihr Verhalten pädagogisch-erzieherisch zu steuern. Diese Praxis verweist auf die Janusköpfigkeit der Kinder- und Jugendfürsorge im 20. Jahrhundert, die ihre Maßnahmen mit der pädagogischen Sorge um das Kind legitimierte, tatsächlich aber als Macht- und Herrschaftstechnologie diente.

Moderation: Christina Antenhofer, Innsbruck

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