akin-Kommentar zum Niedergang von Indymedia Österreich

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Typoskript der Sendung:
*

„wir können nicht mehr.“ das ist der zentrale satz im abschiedsstatement des indymedia-kollektivs.

Am 19.Juni beendete ein beschluß eben dieses kollektivs das projekt der österreichischen Tranche des internationalen linken Open-Posting-Netzwerks. am 30.Juni war der offizielle abschaltungstermin, der datenbestand soll aber bis auf weiteres als archiv im netz erhalten bleiben. als letzten eintrag in dieses archiv gab es nun eben dieses abschiedsstatement, in dem es auch heißt:

(ZITAT) „Es existiert ein grundsätzliches Problem mit Infrastrukturarbeit, das wir auch in anderen Zusammenhängen beobachten konnten: sobald Infrastruktur existiert, wird diese genutzt, damit aber auch abgenutzt. … Das Bestehen von selbstverwalteten und offenen Räumen scheint wie eine Selbstverständlichkeit wahrgenommen zu werden. Dahinter steht aber viel zu oft die Selbstausbeutung von Aktivist_innen, die zum Beispiel einer Lohnarbeit nachgehen um das Einkommen in die Instandhaltung der Räume zu buttern und dann fünf Tage die Woche damit beschäftigt sind Plena und Treffen zu besuchen oder Veranstaltungen vorzubereiten. Doch nicht selten reichen zeitliche und personelle Ressourcen in diesen Räumen für nicht mehr als die Aufrechterhaltung eines Minimalbetriebes. Auch das indy.at-Kollektiv war in letzter Zeit hauptsächlich damit beschäftigt, irgendwie den Status Quo zu erhalten. Notwendige Weiterentwicklungen am Design, das Fördern von Mehrsprachigkeit auf der Seite und sogar grundlegende Auseinandersetzungen über den Umgang mit verschiedenen Ausschluss- und Gewaltformen dieser repressiven Gesellschaft waren nicht mehr in dem Maß möglich, wie wir es uns wünschen würden. “

Soweit das kollektiv in seinem statement

Allerdings wurde das Indymedia Center Austria jetzt nicht zum erstenmal in seiner elfjährigen Geschichte geschlossen. Waren es 2003/2004 noch heftige On- und Offline-Auseinandersetzungen zum Reizthema Palästina-Israel, die zu einer Schließung und späteren Neuformation des Portals führten, kam es bereits 2007 wegen mangelnder Beteiligung am Projekt zu einem Aussetzungsbeschluß.

Hintergrund des Rückgangs an Mitarbeitswillen ist sicher auch, daß Indymedia-Projekte generell mit dem Aufkommen der kommerziellen Social Media Sites und einer Vereinzelung auf Blogs immer weniger Interesse hervorrufen. das hat auch das Kollektiv erkannt, das über die gründungsphase 2001 meint: (ZITAT) „Damals gab es noch nicht die Möglichkeiten, so einfach im Netz eigene Erfahrungen zu publizieren, das heißt autonom und anonym Berichterstattung zu machen. Heutzutage ist es viel einfacher, eigene Blogs zu erstellen oder über soziale Netzwerke Informationen zu verbreiten.“ (ZITAT ENDE)

Speziell Indymedia Austria forderte aber Artikel, die extra für die Site geschrieben würden. Eine Zeitlang wurden nur gnadenhalber Texte aus anderen Medien akzeptiert und es war kaum möglich, dort Blogbeiträge aus anderen Quellen zu posten — da für das Medium selbst aber heutzutage kaum mehr eigene Beiträge geschrieben wurden (eine Entwicklung, mit der sich die meisten alternativen Vernetzungsmedien konfrontiert sehen), war in bestimmten Phasen des Projekts kaum mehr interessanter Inhalt vorhanden.

Das Kollektiv hinter der Site sah sich aber vor allem in den letzten Jahren auch immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, seine informellen Moderations- resp. ”Zensur”-Kriterien weniger an Fragen der Qualität der Beiträge sondern eher an einer sehr engen politischen Diskussionsbandbreite zu orientieren. Während schlecht formulierte und inhaltlich kaum mit Fakten belegte Pamphlete akzeptiert würden, weil sie dem Verständnis des Kollektivs von politischer Korrektheit entsprechen dürften, würde anderes sehr schnell als ”Trollposting” deklariert und entfernt — so eine häufig zu hörende Kritik.

Das Kollektiv verteidigt seine diesbezüglichen Maßnahmen in seinem Abschiedsstatement wie folgt (ZITAT)

„Einzelne nehmen sich einen Raum und vertreiben mit ihrem unguten Verhalten andere, weil sie meinten, sie wären im Recht oder hätten eine revolutionäre Wahrheit gepachtet.“ (ZITATENDE) und deswegen hätte man rigoros moderieren müssen. allerdings ist der vorwurf, zu glauben „eine revolutionäre wahrheit gepachtet“ zu haben, spieglbildlich genauso auch gegen das kollektiv gerichtet worden. und hier gab es eben ein geradezu klassisches problem, denn die dogmatiker, das sind halt immer die anderen.

Das Kollektiv selbst rief zwar immer wieder dazu auf, man möge sich doch an der Moderationsarbeit beteiligen, signalisierte aber leider kaum, daß es sich für breitere Diskussionen öffnen wollte. Und auf Indymedia selbst wollten die moderatoren sowieso keine Diskussionen. (ZITAT aus dem abschiedsstaement): „Die Ergaenzungsfunktion (wie der Name schon sagt) war nie dazu gedacht, ueber Beitraege zu diskutieren. Indymedia war nie ein Diskussionsforum.“ (ZITAT ENDE)

All diese Einschränkungen trugen wohl sehr dazu bei, daß das Interesse an der Mitarbeit erlahmte. Was blieb, war das Konsuminteresse breiter Schichten des linken Publikums, das sich nun aber nicht mehr mit Indymedia identifizierte, sondern nur hie und da auf der Site vorbeischaute, was es denn Neues gäbe. Daß das natürlich das Engagement des Kollektivs nicht sonderlich beförderte, war wohl klar. daß das projekt nun eingestellt wurde, ist daher wirklich nicht verwunderlich.

ob es in österreich wieder ein neues indymediaprojekt geben wird, bleibt abzuwarten, ist im moment aber wenig wahrscheinlich. sinnvoll wäre es sicher, denn weder vereinzelte blogs noch die vernetzung über facebook und co können ein linkes informationsforum wirklich ersetzen

das archiv findet sich weiterhin unter der altbekannten webadresse: at.indymedia.org

das war ein beitrag der akin-redaktion für trotz allem auf radio orange, verfaßt und gesprochen von bernhard redl
*

(Dies ist die aktualisierte Fassung des Kommentars in der akin http://akin.mediaweb.at/2012/16/16indy.htm. Sorry, für rechtschreib- und typographie-fehler, ist ja nur ein radio-typoscript 😉

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