Promi-Ökonom Jeffrey Sachs erklärt den Krieg: Das müsste doch nicht sein!

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Der Ukraine-Krieg:
Seine drei Macher und ihre Gründe

Mittwoch, 21.09.2022, 19:00 Uhr
Amerlinghaus (Galerie)
Stiftgasse 8, 1070 Wien
https://gegenpositionen.at/

Sechs Monate Krieg in der Ukraine belegen, dass den drei beteiligten Seiten ihre jeweiligen Kriegsgründe so wichtig sind, dass sie sich von einer Fortsetzung bisher auch dadurch nicht haben abbringen lassen, dass sie sich wechselseitig den Preis für einen Sieg immer weiter in die Höhe treiben. „Die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands“, „Frieden und Freiheit für Europa“, „Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität für die Ukraine“: Für diese drei offensichtlich unverträglichen Güter wird seit sechs Monaten in der Ukraine zerstört, getötet, gestorben. Dass sie es wert sind, verkünden die russischen, ukrainischen und westlichen Führer ihren Völkern am laufenden Band. Worin sie bestehen und warum sie diesen Krieg hervorbringen, das soll auf der Veranstaltung diskutiert werden.

Promi-Ökonom Jeffrey Sachs erklärt den Krieg:
Das müsste doch nicht sein!

Mit dem Krieg befasst sich auch der heutige Beitrag, wie immer die Mitschrift auf cba.media, Podcast „Kein Kommentar“. Wie der Zufall so spielt, ist am Sonntag, 4. September, im KURIER ein Interview mit dem amerikanischen Promi-Ökonomen Jeffrey Sachs erschienen. Einige KURIER-Leser haben ihre Überraschung gepostet, so etwas dort überhaupt lesen zu können, verständlicherweise – angesichts der nicht zuletzt im KURIER üblichen Hetze und der Anti-Putin-Hasspredigten. Die Kernaussage:

Der prominente US-Ökonom Jeffrey Sachs sieht die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine auch beim Westen und bei den USA. Die hätten Russland viel zu lange an den Rand gedrängt.“ Der Ökonom ist sogar der Meinung, die „USA hätten die NATO auf Eis legen sollen“. Der „Berater des russischen Präsidenten Boris Jelzin und der Regierung in Polen prägte … die Umgestaltung des ehemaligen Ostblocks maßgeblich mit. Heute sieht der Wissenschafter von der New Yorker Columbia-Universität die Rolle der USA und des Westens in Osteuropa kritisch. Der KURIER sprach mit ihm am Rande des Forum Alpbach über den Krieg in der Ukraine und die Mitverantwortung der USA.“

Mit einigen Teilen des Interviews will ich mich nun kommentierend befassen.

KURIER: Der Krieg in der Ukraine dauert mehr als ein halbes Jahr. Wo sehen Sie die Ursachen dieses Konflikts?

Jeffrey Sachs: Schon 1991. Der Kardinalfehler war, dass man Russland weiterhin als Feind behandelte. Die USA hätten damals, als der Warschauer Pakt zerfiel, auch die NATO auf Eis legen, vielleicht sogar auflösen sollen. Stattdessen machte man Druck, die NATO in drei Schritten zu erweitern: Osteuropa, dann das Baltikum und das Schwarze Meer … und dann der Plan mit der Ukraine.

Also, der Krieg dauert jetzt mehr als ein halbes Jahr, und auf die Frage nach der Ursache benennt der Ökonom einen Missgriff, quasi einen Fauxpas von damals. Das ist einerseits erfrischend eindeutig und angesichts der hiesigen Hetze ungewohnt, aber da lässt der analytische Zugang des Professors doch sehr zu wünschen übrig: Wenn er schon – völlig zurecht – festhält, dass die USA Russland auch nach der Gorbatschow-Wende zu Marktwirtschaft und Demokratie weiterhin als Feind behandelt haben, wäre doch die Frage zwingend, warum die USA so verfahren sind. Immerhin wurde mit der Prolongation der Feindschaft ein jahrzehntelang gepflegtes Feindbild ansatzlos aus dem Verkehr gezogen, dass nämlich das andere System schuld an der Feindschaft ist, weil mit dem Realen Sozialismus jene Friedliche Koexistenz, die das Sowjetsystem immer propagiert hat, angeblich unmöglich war … Einen Grund für diese ungebrochene Fortsetzung kann sich Sachs offenbar nicht vorstellen, er tut die US-Politik einfach als Fehler ab – im Sinn von: „Dazu hätte es nicht kommen müssen, das müsste doch alles nicht sein!“ – und interessiert sich einfach nicht für die US-Strategie; die auch in Bezug auf das Wettrüsteten keine Sekunde lang Abstriche gemacht hat.

KURIER: War das nicht die freie Entscheidung dieser Staaten?

Jeffrey Sachs: Deutschland – genauer gesagt, Außenminister Hans Dietrich Genscher – hat Sowjetchef Michail Gorbatschow zugesagt, dass sich die NATO nicht nach Osten erweitern werde. Ein Versprechen, das US-Präsident Bill Clinton bequemerweise vergessen hat.

Sachs’ Antwort redet ein wenig an der Frage vorbei; er beharrt immerhin darauf, dass die USA das Subjekt der NATO-Erweiterung sind; da macht sich überdies eine Arbeitsteilung im Bündnis geltend: Genscher verspricht etwas, und Clinton hält sich nicht daran. Aber immerhin, nach Lage der Dinge bzw. nach Stand des Feindbildes ist es erwähnenswert, dass Sachs daran überhaupt festhält, und die damaligen Abmachungen nicht einfach weglügt. Die Frage des KURIER war aber anders gemeint, gemeint war die freie Entscheidung der Oststaaten und der baltischen Staaten. Nun, weil öfter davon die Rede ist, diese Staaten hätten eben den unwiderstehlichen Wunsch nach dem NATO-Beitritt geäußert: Christkindl ist ein Ort in Oberösterreich, und die NATO ist ein Kriegsbündnis und nicht der Weihnachtsmann, an den abgesandelte Oststaaten ihre Wünsche schicken, und schon kommt der Santa-NATO-Claus und bringt Geschenke. Der KURIER setzt nach und verweist auf den Zeitraum:

KURIER: Das ist aber 30 Jahre her.

Wieso „aber“? Ein wirklich interessantes „Argument“ – nach 30 Jahren werden Abmachungen sowieso hinfällig? Abgesehen davon, dass die NATO-Osterweiterung schon viel länger läuft – die Anerkennung der Ukraine durch Russland wurde übrigens auch nach ca. 30 Jahren revidiert, durch den Krieg … Sachs beharrt auf seiner Position, stimmt ja:

Jeffrey Sachs: Der Krieg in der Ukraine ist eine Folge der NATO-Erweiterung und all der Krisen und des Misstrauens, das diese seither ausgelöst hat. Biden hat unglückseligerweise abgelehnt, mit Putin über die NATO-Osterweiterung zu diskutieren. Stattdessen hat er klar gemacht, dass die NATO um die Ukraine erweitert wird. Biden hat also den letzten Ausgang, der diesen Krieg hätte verhindern können, nicht genommen.

Wieder von einem analytischen Bedürfnis her eine unbefriedigende Auskunft. Wenn dem so ist, wie Sachs vorbringt, dann hat Biden den Krieg eben billigend in Kauf genommen, dann ist ihm die NATO-Erweiterung wichtiger als der Friede, und immerhin wurde die Ukraine genau für einen Krieg gegen Russland die letzten Jahre aufgerüstet. – Wieder wäre die Frage nach dem „Warum“ fällig, statt Bidens Entscheidung als ein „Unglück“ abzutun. Der KURIER ist skeptisch:

KURIER: Hätte man die Beziehungen zu Russland wirklich normalisieren können?

Jeffrey Sachs: Ich war dabei, als die russischen Führer wie Gorbatschow und später Jelzin versucht haben, Russland zu einer Rolle als normaler Staat in Europa zu verhelfen. Auch Putin wollte Russland in seinen ersten Jahren zu einem Teil Europas machen. Die USA sind darauf nicht eingegangen. Man hat auf seiner Rolle als einziger Supermacht beharrt und klar gemacht, dass man gerne über alles redet, aber nur unter der Voraussetzung, dass die USA die absolute Führungsrolle übernehmen. Die USA beharren weiterhin darauf, die einzige Supermacht zu sein. Für Russland ist die Kontrolle über das Schwarze Meer eine Notwendigkeit, für die USA ist das nur ein Baustein westlicher Kontrolle. Aber würde man in Washington eine militärische Präsenz Chinas in der Karibik akzeptieren?

Persönlich dabei oder nicht – das war schon der Zweck der Wende zu Marktwirtschaft und Demokratie, aus damaliger sowjetischer Sicht: Als ein in diesem Sinn „normaler“ Staat die Feindschaft des Westens loszuwerden und in den Kreis der mächtigen Demokratien – Das allemal! – aufgenommen zu werden. So wurde damals der Kreis der G7 – der „Weltwirtschaftsmächte“, die nicht weniger als die Weltwirtschaft dirigieren – zu den G8 erweitert, kurzfristig. Die Charakterisierung dieser Phase durch Sachs ist nicht übel: Die USA sind darauf nicht eingegangen. Man hat auf seiner Rolle als einziger Supermacht beharrt und klar gemacht, dass man gerne über alles redet, aber nur unter der Voraussetzung, dass die USA die absolute Führungsrolle übernehmen. In der Tat, Russland durfte bei den G8 mitreden, unter der Prämisse, dass es nichts zu sagen hat; soll heißen, dass russische Interessen prinzipiell übergangen werden. Durchexerziert wurde der US-Anspruch auf Suprematie in den Kriegen am Balkan, vor allem im Krieg gegen Serbien, und in den Kriegen gegen den Irak und Afghanistan. Allerdings: Wieder stellt sich die Frage, was treibt denn diese Supermacht zu dem Anspruch, die einzige zu sein? Ist das naturwüchsig so? Vor allem: Was macht sie denn mit ihrer Supermacht und warum?

Die weitere Fortsetzung von Sachs ist längst überholt: Für Russland ist die Kontrolle über das Schwarze Meer eine Notwendigkeit, für die USA ist das nur ein Baustein westlicher Kontrolle. Aber würde man in Washington eine militärische Präsenz Chinas in der Karibik akzeptieren? Überholt, weil der Ökonom darin Russland ein legitimes Interesse an der Kontrolle des Schwarzen Meeres konzediert, ein Interesse, das gerade bekriegt wird, weil es sich eben um einen für Russlands Existenz ganz entscheidenden „Baustein“ handelt! Und natürlich würden die USA keinen feindlichen Stützpunkt in der Karibik dulden, denn zur „einzigen“ Supermacht gehört – offenbar – so etwas wie ein Monopol auf die Bedrohung anderer Länder und auf Krieg! Auf die Behauptung des legitimen Interesses an der Krim geht der Journalist gar nicht erst ein, statt dessen:

KURIER: Aber hat Putin wirklich etwas angeboten?

Das ist Journalismus in seiner elementaren Form: Ob und was Putin an Vorschlägen vorgebracht hat – da bräuchte kein Journalist fragen, da genügt die angebliche journalistische Hauptbeschäftigung des Recherchierens. Da müsste er halt Putin fragen … Aber was Putins Vorschläge „wirklich“ taugen, das entscheiden eben andere, deren Urteil das einzig maßgebliche ist. Und diese devote journalistische Haltung gilt auch gegenüber einem Nicht-Machthaber, der immerhin ein Promi-Ami ist. Die Antwort:

Jeffrey Sachs: Die Vorschläge, die Putin vor dem Ausbruch dieses Krieges vorgelegt hat, waren ein durchaus geeigneter Ausgangspunkt für Verhandlungen, etwa die Neutralität der Ukraine und der Stopp der NATO-Osterweiterung. Viele europäische Staatsführer haben sich früher klar gegen die NATO-Erweiterung um die Ukraine und Georgien ausgesprochen. Sie waren nur jetzt nicht mutig genug, das den USA erneut klar zu machen. Ich wiederhole, es war ein Fehler, nicht mit Putin in diese Verhandlungen zu gehen.

Insofern hat der Journalist mit seiner Frage – Hat Putin etwas angeboten? – doch recht, weil die „Neutralität der Ukraine und der Stopp der NATO-Osterweiterung“ von den USA von vornherein als unannehmbar zurückgewiesen wurden; Putin hat in der Tat nicht seine Zustimmung zu allen westlichen Zumutungen angeboten – also hat er so gut wie nichts angeboten. Was die europäischen Staatsführer mit früheren Bedenken gegen die NATO-Osterweiterung betrifft – eine Supermacht wird sich doch nicht von den eigenen Unterläufeln irritieren lassen … Der KURIER probiert es anders:

KURIER: Hier geht es doch um einen Kampf um Demokratie und Souveränität einer Nation?

Der Ökonom versucht nun, dem Gedächtnis des Interviewers ein wenig nachzuhelfen: „Demokratie und Souveränität“ sind nämlich immer dann nichtig, vor den Ansprüchen der Supermacht, wenn sich souveräne Staaten nicht den Ansprüchen der Supermacht fügen. Andere Länder, die tatsächlichen oder potentiellen Opfer westlicher Werte und westlicher Bomben, die kennen das auch zur Genüge, und der Vorwurf „double standards“, also Staaten mit zweierlei Maß zu messen, ist keine russische Spezialität.

Jeffrey Sachs: Der Rest der Welt teilt nicht diese westliche Ansicht, dort sieht man den Konflikt als Stellvertreter-Krieg zwischen Russland und den USA – und davon hat man genug. Man hat kein Interesse an der NATO-Osterweiterung, sondern an Nahrungssicherheit und Stabilität. Der Westen aber staunt, warum man in anderen Teilen der Welt nicht die Unterstützung bekommt, die man erwartet hat. Wenn Biden sagt, dass Putin gestürzt werden sollte, dann ist das nicht einfach ein Ausrutscher, das ist US-Politik. Der Krieg in der Ukraine ist ein Stellvertreter-Krieg zwischen den USA und Russland, und der ist sehr gefährlich.

Dem Journalisten fällt dagegen wieder nichts ein, er gibt dem Ökonomieprofessor – immerhin ein Ami! – noch eine Chance:

KURIER: Sehen sie die Rolle der USA so problematisch?

Jeffrey Sachs: Vietnam, Kambodscha, Afghanistan, Irak – die USA sind in den letzten 40 Jahren nie so aus einem Krieg rausgekommen, wie sie es angekündigt haben. Der Ukraine kann ein ähnliches Schicksal blühen wie all diesen Staaten. Ich glaube nicht mehr der Sprücheklopferei von US-Generälen und auch nicht von US-Präsidenten. Die USA sind geradezu darauf spezialisiert, Länder wie das heutige Afghanistan zu produzieren. Es besteht die Gefahr, dass auch aus der Ukraine ein solches Afghanistan wird.

Auch da trifft der Ami etwas: Es ist kein Glück für Länder wie Afghanistan und die Ukraine, sondern ein Pech, wenn die USA antreten, um die dortigen Völker zu befreien bzw. ihnen dabei zu „helfen“. Allerdings ist die kleine Liste – Vietnam, Kambodscha, Afghanistan, Irak – schon dazu angetan, die einleitende Gewissheit von Mr. Sachs über den US-Imperialismus als eine lange Kette von „Ausrutschern“ – das alles müsste doch nicht sein, das alles ginge doch auch anders – ein wenig zu erschüttern. Wenn er die Sprüche der Präsidenten und Generäle über die guten Absichten der USA nicht mehr glaubt, dann wäre angebracht, mal die tatsächlichen, quasi die „materiellen“, die gültigen Prinzipien der US-Politik zu ergründen – warum und wofür es die US-Kriege braucht!

KURIER: Wie aber soll dieser Krieg enden und was soll aus der Ukraine werden?

Jeffrey Sachs: Natürlich hängt viel davon ab, wie der Krieg endet. Wenn er als eingefrorener Konflikt endet, in dem Russland einen Großteil der Ukraine besetzt und der Westen Sanktionen und fortgesetzte Waffenlieferungen an die Ukraine aufrechterhält, befürchte ich, dass die Ukraine am Ende eine Generation des Leidens durchmachen wird, was meiner Ansicht nach alles hätte vermieden werden können – durch die Verhandlungen zwischen den USA und Russland im Jahr 2021 oder sogar jetzt noch.

Wenn der Konflikt durch Verhandlungen endet, wären die Grundzüge einer Lösung die ukrainische Neutralität, die russische Krim und eine Regelung für einen entmilitarisierten Donbass. Momentan steuern wir ja jeden Tag mehr auf eine Art eingefrorenen Konflikt zu, der für die Ukraine, Russland, Europa und die Welt schlimmer sein wird als ein Verhandlungsergebnis.

Wie bereits erwähnt: Der Pferdefuß dieser konstruktiv sein wollenden Vorschläge besteht darin, dass Sachs der Russischen Föderation tatsächlich so etwas wie legitime Interessen, legitime Sicherheitsinteressen zugesteht. Das in einer Lage, in der Russland vom Westen durch die NATO-Osterweiterung darauf fixiert wird, diese seine Interessen mit kriegerischen Mitteln geltend machen zu müssen, ansonsten gelten sie nichts, was ja auch und gerade dem Prof. Sachs aufgefallen ist. Derselbe Konstruktivismus wird nicht besser, wenn er ihn dem Interviewer als etwas patriotisch Einleuchtendes präsentiert:

KURIER: Aber ist eine neutrale Ukraine nicht Russland völlig ausgeliefert?

Jeffrey Sachs: Der Weg zu einem Frieden sollte vor allem mit Klugheit beschritten werden. Gerade Osterreich hat diese Klugheit 1955 besessen, als man ein neutraler Staat wurde und die Russen abzogen. Vielleicht sollte man diese Positionen deutlicher mit ukrainischen Politikern erörtern. Geht es hier nicht um ganz ähnliche politische und geografische Konstellationen? Selenskij dagegen will die Krim wieder zurückerobern. Wer die historische Bedeutung dieser Halbinsel für Russland versteht, weiß, dass das eine sehr gefährliche Haltung ist.

Nun, die „politische und geografische Konstellation“ ist doch heute eine ganz andere! Das heutige Kräfteverhältnis ist ein völlig anderes, und der Friede ist offenkundig nicht der Oberzweck des Westens. Aus US-Sicht wäre „Neutralisierung“ glatt eine Art Verzichtspolitik, und kein Ami-Präsident ist ein Verzichtspolitiker wie der im Westen gefeierte Gorbatschow. Folgt im Interview noch der heutzutage im KURIER unvermeidliche Hitler:

KURIER: Oft hört man, mit Putin heute zu reden ist derselbe Fehler, wie mit Hitler 1938 zu reden.

Jeffrey Sachs: Ich halte nichts von diesem Vergleich von Putin mit Hitler und dem angeblichen Fehler von 1938. Es war damals gut, mit Hitler zu verhandeln, es war nur nicht gut, ihm alles zu glauben und dann wie Chamberlain von „Frieden in unserer Zeit“ zu sprechen. Und das gilt heute genauso. Es ist immer gut, auch mit Gegnern zu sprechen, man sollte ständig in Gesprächen sein. Nur so lernt man die Positionen zu verstehen. Wenn man nicht redet, bleibt man nur in seinen eigenen Konzepten stecken.

Tja, und wenn es den USA darum geht, genau diese „eigenen Konzepte“ gewaltsam geltend zu machen?! – Wie dem auch sei, die Unterstellung, Diplomatie sei dasselbe wie Nachgiebigkeit, die ist ohnehin einfach blöd – „reden“ ist doch kein Gegensatz zum Kriegführen, sondern das Vorspiel. Zum anderen ist bezeichnend, wie da Hitler vorkommt: Den „musste“ „man“ seinerzeit bekanntlich stoppen, weil er sonst nie aufgehört hätte, oder so ähnlich … Und das, nachdem Sachs vorher die Leistungen der USA aufgezählt hat: Vietnam, Kambodscha, Afghanistan, Irak; zu ergänzen wären etwa Serbien, Libyen und die Aktionen „from behind“ in Syrien und andere Regimewechsel wie Chile etc. Wie wäre es mit: „Man“ oder „wir“ müssen endlich die USA stoppen, weil die hören sonst nie auf! Die hören übrigens tatsächlich nie auf! Warum, das wird sich vielleicht klären am Mittwoch, den 21. 9. 2022:

https://gegenpositionen.at/
Der Ukraine-Krieg: Seine drei Macher und ihre Gründe
Mittwoch, 21.09.2022, 19:00 Uhr
Amerlinghaus (Galerie)
Stiftgasse 8, 1070 Wien

Literatur:

Das Interview mit Jeffrey Sachs ist leider nicht freigeschaltet:
https://kurier.at/politik/ausland/mitschuld-am-krieg-usa-haetten-die-nato-auf-eis-legen-sollen/402133713

Zur Ukraine:
https://de.gegenstandpunkt.com/dossier/krieg-ukraine
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/drei-gruende-ukraine-kriegs
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/botschafter-melnyk

Ein etwas anderer Nachruf auf Gorbatschow:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/100-jahrestag-oktoberrevolution

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