Eine Attac Buchrezension von Lilly Payer: Panic! – Covid-19 shakes the world von Slavoj Zizek

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Eine Radio-Attac- Buchrezension von Lilly Payer:

Nicht schon wieder ein Beitrag zu Corona. Was reproduziert sich eigentlich schneller? Der Virus oder die Kommentare dazu? Ich habe mir eigentlich vorgenommen das Thema Corona nicht zu behandeln, bin dann jedoch auf eine interessante Buchveröffentlichung gestoßen die verschiedene Aspekte mit der momentanen Krise verknüpft. Ich werde das Thema Corona also zumindest flüchtig schneiden, wie eine Tangente einen Kreis- aber die Sorte von Tangente wie die A23 in Wien, die also wie ein Faden direkt durch die Materie geht: Um genauer zu sein die Materie eines Buches- Panic: Covid-19 shakes the World! Das Cover des neuen Werkes von Slavoj Zizek ist ausgefuchst in klassischer Zizek-Manier: Panik steht in giftgrün auf dem pinken Hintergrund und in kleinen Lettern ist im I der Panik „dem d-e-m“ vermerkt, Dieses dem ist das i-tüpfelchen weil, der griechische Wortstamm für „Volk“. Visuell steht auf diesem Cover also Nicht nur Panic! Sondern, People in Panic, oder mit etwas weniger Fantasie eben auch: Pandemic. Nur ungefähr 100 Tage liegen zwischen dem Ausbruch von Covid-19 und der Veröffentlichung dieses Buches, was selbst für einen sehr produktiven Philosophen und Provokateur wie Zizek eine beachtliche Leistung ist.

Aber Halt: Wer ist überhaupt Slavoj Zizek?

(zwischenton)

(lustige Stimme) Ein Eintrag aus der Enzyklopädie der erklärungsbedürftigen und wunderlichen Phänomene, Daseinsformen und Persönlichkeiten der Gegenwart von Dr. Mohammed Luftiküsser

Zizek, Slavoj: Geboren am 21.März 1949 in Lubljana, knüpft der Gegenwartsphilosoph, Soziologe und Kulturtheoretiker an die Lehren Hegels, Marx und Lacan an und versucht die Theorien Lenins zeitgenössisch aufzubereiten. Mit seiner Arbeit adressiert er Themen der Psychoanalyse, Kapitalismuskritik, der Politik und zieht Analogien zu dem poltisch-unbewussten des Hollywoodkinos, wenn er zum Beispiel er zum Beispiel eine Analogie aus Kill Bill für die Gesundheit des Kapitalismus heranzieht. Sein gewollt provokanter Stil und die Kunst all seine Werke mit einer gehörigen Portion Humor und Selbstironie zu durchziehen, machen Zizek zu einer sehr beliebten Figur westlicher Intellektueller aber auch zu einem umstrittenen Theoretiker. Seine Publikationsliste ist kaum überschaubar  und vor allem in englischen Medien und jugendlichen Subkulturen sind seine Zitate omnipräsent. Manche nennen ihn den „gefährlichsten“ Denker für den Westen, andere den Borat der Philosophie und wieder andere einen klassischen Anarcho-Marxisten.

Seine natürlichen Fressfeinde: political-correctness und selbstgefällige links-liberale

Kritik: Diverse Aussagen zur Queer-Bewegung, frauenfeindliche Witze und teilweise eurozentrisch angehaucht.

(zwischenton)

Und bevor wir uns jetzt seinem neuen Buch zur Krise widmen gibt es für euch ein bisschen Musik: 

(Lied)

Hauptteil

„In a crisis we are all socialists“ – repetiert Zizek in seinem Buch spöttisch ein altes ökonomisches Diktum und fragt eine wichtige Frage: Was ist eine Pandemie über die Panik der Menschen hinaus? Wenn Donald Trump Schecks an Millionen von Amerikanern ausstellt, auf EU-Ebene einheitliche Regeln für Staatsübernahmen gesucht werden und eine konservative britische Regierung die Eisenbahnen effektiv verstaatlicht, schmelzen alte Orthodoxie in der Luft. Eine Renessaince des Politischen Staates als Hauptakteur der Krise eröffnet im linken Spektrum neue Räume für Debatten über Vermögenssteuern, über Wahlrecht von MigrantInnen und über die Demokratisierung von Parteien.

In 146 Seiten, geschrieben in 10 Kapitel die jeweils andere Aspekte der Krise beleuchten kritisiert und analysiert Zizek seiner Linie treu Geschehnisse der Gegenwart und argumentiert dass wir drei trügerischen Logiken nicht verfallen sollten, die durch die Panik begünstigt werden: den Wunsch, sich der mysteriösen Bedrohung zu beugen, der Pandemie einen tieferen Sinn zuzuschreiben, im Sinne einer abergläubischen Bedeutung des Ereignisses und den Mechanismen der Panik selbst. Mit seinem perfekten Timing gelingt Zizek eine Pointe mit Blick in die Zukunft und er zeichnet einen möglichen weiteren Prozess fort. Dabei kehrt er in den 10 impressionistischen Kapitel immer wieder zu einer These zurück: Es müsse eine neue Form dessen, was einst Kommunismus genannt wurde geben, um zu verhindern dass sich diese Pandemie in einen globalen Albtraum entwickele. Wenn Žižek den Begriff „Kommunismus“ verwendet, dann meint er damit nicht die Staaten „alten Stils“ des 20. Jahrhunderts, sondern die Notwendigkeit einer „globalen Organisation, die die Wirtschaft kontrollieren und regulieren sowie die Souveränität der Nationalstaaten bei Bedarf einschränken kann“, und einer koordinierten Abkehr vom Markt. Er sieht dies verwirlicht in der massiven Mobilisierung staatlicher Ressourcen zur Zahlung der Löhne im privaten Sektor, zur Verstaatlichung von Dienstleistungen und zur Steuerung der industriellen Produktion. Er sei kein fanatischer Anti-Kapitalist in dem Sinne, dass er den Kapitalismus alles Schlecht dieser Welt zuschreibe, aber er beschäftigt sich eben mit ökonomischen Fragen nach Gemeingütern, nach ökologischen, biogenetischen oder kulturellen Commons, etwas dass er den „Linken“ wie er westliche Eliten gerne pauschalisiert vorwirft zu vermeiden. Wie diese Form des Kommunismus genau auszusehen habe, dieser Antwort enthalte sich Zizek jedoch, denn die Aufgabe eines Philosophen sei es: „ Die richtigen Fragen zu stellen, also den richtigen Hut zu liefern, nicht jedoch auch das Kaninchen daraus zu zaubern.

(lustige Stimme) Ein Eintrag aus der Enzyklopädie der erklärungsbedürftigen und wunderlichen Phänomene, Daseinsformen und Persönlichkeiten der Gegenwart von Dr. Mohammed Luftiküsser

Kommunismus, der: heute scheinbar ein Schreckensgespenst dem der kapitalistische Westen nach Trumans Inauguration-Speech 1949 durch gezielte entwicklungspolitische Maßnahmen und Interventionen in kommunistischen Ländern den Wind aus den Segeln genommen hat. Seit dem kalten Krieg daher ein totgeglaubtes oder todgewünschtes Konzept untergegangen mit dem Ende der Sowjetunion 1991, welches jedoch interessante wirtschaftstheoretische Ideen enthält. Der Begriff geht auf das lateinische Wort „communis“ zurück was gemeinsam bedeutet. Geprägt wurden die kommunistischen Ideen von Marx und später von Lenin weitergeführt weshalb man auch vom Marxismus-Leninismus spricht. Es handelt sich dabei um Planwirtschaften in denen  wichtige wirtschaftliche Bereiche im Staat oder einer internationalen Institution zentral verwaltet werden. Der kapitalistisch hervorgebrachte Sozialismus kann auch als Vorstufe eines möglichen Kommunismus gesehen werden. Die kommunistische Planwirtschaft ist das Gegenstück zur kapitalistischen Marktwirtschaft. Im heutigen ökologischen Diskurs und der Politik findet Kommunismus jedoch kaum Beachtung in der Debatte, was auf kommunistischen Terrorregime wie Stalins Russland oder Titos Jugoslawien und anderer fatal gescheiterter Beispiele zurückzuführen ist. Nur wenige Nationen beruhen noch auf einer Zentralwirtschaft, dazu gehören China, Vietnam, Laos und Kuba.

Auch ein sehr politisches Kapitel über Putogan befindet sich in seinem Werk: ein Portmanteau der Staatsoberhäupter Russlands und der Türkei führt den Provokateur zu Theorien darüber, was es für Europa beudete wenn das Corona-Virus auf eine durch Russland und Türkei befeuerte Flüchtlingskrise trifft. Er identifiziert „drei Stürme“ (Anm. Stürme sind Ereignisse die von besonderer Gewalttätigkeit geprägt sind) die Kurs auf Europa halten und Handlungsspielraum für Populismus und Rassismus böten: Erstens die Pandemie selbst und die Quarantänezustände die mit ihr einhergehen, zweitens die Folgen für die europäische Wirtschaft welche auch ohne Virus sc hon stagniert und die durch die starke Abhängigkeit vom Weltmarkt evtl. Stärker betroffen sein wird als andere wirtschafträume und zu diesen beiden Stürmen kommt in Europa noch ein dritter hinzu: diesen Sturm nennt Zizek eben den „Putogan-Virus“: Dieser sei ein direkter Ausdruck der Gewalt zwischen der Türkei unter Recep Tayyip Erdogan und dem Assad-Regime, welches direkt von Putins Russland unterstützt wird. Ein Konflikt in dem beide Seiten das Leid von Millionen von Flüchtlingen ausnutzen für die eigenenpolitischen Interessen. Der Zynismus der Türkei bei den Flüchtlingsverhandlungen mit Europa liegt in der Tatsache, dass sie selbst als Akteur des syrischen Krieges mitverantwortlich ist dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen und vertrieben werden. Beide Parteien des Konflikts seien laut Zizek daher in der idealen Lage Druck auf Europa auszuüben: sie kontrollieren einen Teil der Flüchtlingsströme nach Europa und einen wichtigen Teil der Ölzufuhr und dies sind starke politische Instrumente. Es ist ein geopolitischer Tanz auf Kosten einer Nation und genau aus dieser Ähnlichkeit im strategischen vorgehen der beiden Mächte Russland und der Türkei schafft Zizek die spitze Figur Putogan. In Zusammenhang  mit einer Corona-Epidemie können „organisierte“ Flüchtlingsströme laut Zizek verheerende Folgen haben. Neben den gesundheitlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern, bietet diese Kombination auch politische Angriffsfläche für Populisten und Rassisten: Endlich können sie ihren Ruf nach Grenzschließung, Nationalisierung mit wissenschaftlichen Daten füttern und medizinischen Gründen füttern. Um unmenschliche Politiken zu verhindern, schlägt der Philosoph daher vor, die Zusammenarbeit der Staaten Europas zu intensivieren und die Handlungsfähigkeit zu Gunsten einer menschenfreundlichen Flüchtlingspolitik auszubauen.

Es gibt eine schöne philosophische Passage, die der Ansicht entgegenwirkt, dass die Menschheit von dieser Epidemie „bestraft“ wird, weil sie die natürliche Welt ausbeutet. Žižek meint, dass solche Argumente eine beruhigende Funktion haben, da sie davon ausgehen, dass der Mensch „in irgendeiner tiefgreifenden Weise überhaupt eine Rolle spielt“; wirklich schwer zu akzeptieren ist, dass dieser „dumme, sich selbst reproduzierende Mechanismus“, wie er das Virus beschreibt, „keinen tieferen Sinn verbirgt“. Er ist am mächtigsten – sogar nützlich – wenn er einfach darauf hinweist, dass die moralische Aufgabe während dieser Pandemie darin besteht, Leiden zu lindern, nicht darin, „zu sparen“. Es hat etwas zutiefst Radikales in der Art und Weise, wie die Staaten dieser antiökonomischen Logik gefolgt sind, indem sie sich verschlossen haben, und der Versuchung widerstehen müssen, auf Kosten der Kranken zur „Normalität“ zurückzukehren.

Und wie sieht es aus mit China? Zizek sagt er hat einen inneren Strom, der ihn davon abhält, Chinas Herrschende – die Pioniere der Abriegelung wie er sie nennt – für ihren Umgang mit der Krise zu loben und bemerkt herausfordernd: „wenn es in China Redefreiheit gäbe, würde es kein Corona-Virus geben“ und betont eindringlich die Wichtigkeit von Whistleblowern wie Julian Assange in der Gegenwart und in Bezug auf Datenmanipulation im Corona-Daten-Universum. Laut ihm ist die unangenehme Wahrheit, dass sich China wahrscheinlich zur wirksamsten Supermacht im Umgang mit der Pandemie entwickelt; Im Kontrast der schlecht organisierten Systeme Brüssel und Washington findet Zizek seinen Vergleich zur Gegenwart zwischen westlicher Barbarei und östlichem Totalitarismus, welchem eben nur mit einem „latenten“Kommunismus zu begegnen sei. Er sagt: Es muss eben eine Art Desaster-Kommunismus als Gegenmittel zum Desaster-Kapitalismus sein. Auch Solidarität spielt in diesem Zukunftsmodell Zizers eine große Rolle: Der Ausdruck dieser neuen Form von Solidarität: die soziale Distanzierung.

(lustige Stimme) Ein Eintrag aus der Enzyklopädie der erklärungsbedürftigen und wunderlichen Phänomene, Daseinsformen und Persönlichkeiten der Gegenwart von Dr. Mohammed Luftiküsser

Social Distancing, das: Praxis und politische Maßnahmen die vor allem während Pandemien wie der Schweinegrippe, der spanischen Grippe oder dem Corona-Virus Anwendung findet um eine Ausbreitung einzudämmen.

Aber auch: Liebe zu Omi und Opi, Hamster- und Denunziantenära, Babyelefanten, solidarische Verantwortung gegenüber Risikogruppen, Austragungsort politischer Kämpfe, Eine schicke Möglichkeit für einen introvertierten Menschen sich zurückzuziehen und für viele Menschen schwer erträglich. An manchen Orten der Welt auch eine Unmöglichkeit.

Das Buch ist erhellend aber auch frustrierend, da seine Analyse teilweise eindeutig nützlich wäre, wie wenn er fragt: Wo enden die Daten und wo beginnt die Ideologie? Es ist eine der bedeutendsten Fragen dieser Krise, in der wir Monate damit verbringen Daten zu sammeln, auszuwerten oder an Todesfall-Diagrammen zu kleben. In Zeiten von Verschwörungs-Influenzern und hoher Ungewissheit ist die Antwort auf diese Frage zu finden eine kollektive Aufgabe, die Slvoj Zizek vorerst unbeantwortet lässt. Zweifellos hat der Autor die derzeitige Situation sorgfältig geprüft, aber die Frage der Überwachung ist teilweise zweideutig.  Trotz der Tatsache, dass Abriegelung und ständige Überwachung anscheinend die einzig gangbare Lösung für die Pandemie ist was man eben mit Daten aus China messen kann, darf der potenzielle Machtmissbrauch nicht unterschätzt werden. Unsere Erfahrungen mit den Ereignissen der Vergangenheit, wie z.B. den institutionellen und rechtlichen Regelungen, die in der Zeit nach dem 11. September 2001 eingeführt wurden, sind immer noch frisch und beunruhigend für die Menschen nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Kurz gesagt, das Buch ist voller reicher Analogien und interessanter Anspielungen auf viele Filme und Anekdoten. Es sollte als ein bemerkenswerter Beitrag in der akademischen Debatte über die Coronavirus-Pandemie angesehen werden.

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