Die Türkei – Gespräch mit Max Zirngast, Teil 2

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China – ein Lehrstück. Buchpräsentation, Teil 5 – mit der Autorin Renate Dillmann

Die Parteienkonkurrenz der Türkei, die Kurden und die Debatte um den Völkermord an den Armeniern, das Aghet

Das türkische Wahlrecht, die Kurden und das Parlament
Koalition nach Gezi-Park-Protesten am Ende
Viele ehemalige Getreue Erdoğans haben die Regierung verlassen.
Die AKP ist gespalten, aber die CHP ist auch uneinig.
Die CHP heute: integrative Partei für Linke, die sie mit Seufzer als kleineres Übel doch immer wieder wählen. Partei der Aleviten.

Die MHP wurde als rechter Schlägertrupp gegen die Linken, die Vertreter der Studentenbewegung, mit Hilfe der USA 1969 gegründet. Sie ist türkisch-nationalistisch, russenfeindlich und USA-freundlich, sie wurde aus der „idealistischen Jugend“ zu einer Partei.

Ein weiterer Unterschied zur CHP, deren extrem nationalistischer Flügel prorussisch („eurasisch“) und in hohen Geheimdienstpositionen war/ist. Inzwischen hat sich ein Teil abgespalten und die Partei „Vatan“ (=Vaterland) gegründet.
Kurzportrait Doğu Perinçek und Alparslan Türkeş – Antagonisten des türkischen politischen Spektrums

Die MHP und die „Grauen Wölfe“, die in der Türkei eher die „idealistische Herde“ heißen. (Die „Jugend“ ist inzwischen in die Jahre gekommen.)
Der Wolf ist ein Totemtier der Ur-Türken, und wird von den MHP-Faschisten sehr verehrt.

Die Gezi-Park Proteste 2013 änderten das politische Gefüge der Türkei, die Hizmet-Bewegung Gülens distanzierte sich von der AKP, hoffte auf deren Sturz – Irrtum! Aber das Klima war vergiftet.

2013 begann also das Zerwürfnis zwischen Gülens Anhängern und der AKP.

Es war ein gülenistischer Staatsanwalt, Özcan Şişman, der dann die Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellengruppen auffliegen hat lassen und die diesbezügliche Info der Zeitung Cumhuriyet zugespielt hat. Ein anderer gülenistischer Ankäger, Zekeriya Öz, ist inzwischen nach Deutschland geflüchtet.
Einflußlos, aber ein populäres Aushängerschild der Gülen-Bewegung war der Fußballer Hakan Şükür, der inzwischen in die USA abgehaut ist.
In den USA, GB und Deutschland finden die emigrierten Gülenisten gute Aufnahme und werden als Karte gegen Erdoğan, die AKP gehandelt, als Garanten von NATO-Treue der Türkei.

Aus diesem Anlaß ein Rückblick zum NATO-Putsch 1980. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu dem von 2016.
Putsche sind schwieriger in Zeiten von Privatsendern und Internet – das Meinungsmonopol läßt sich nicht mehr herstellen.

Die Kemalisten aus dem Militär, die in dem offenbar geschobenen „Ergenekon“-Verfahren vor Gericht gestanden sind, wurden plötzlich 2014 freigelassen, und dann der ganze Prozeß vom obersten Gerichtshof gekippt.

2 Blöcke von Parteien stehen sich gegenüber: Zu MHP und AKP gesellt sich noch die „Gute Partei“, eine MHP-Abspaltung und ihre Vorsitzende Meral Akşener.

Zurück in die 90-er Jahre, als Akşener als Innenministerin hart durchgriff:
Was bedeutet „Schmutziger Krieg“ in der Türkei?

Er bedeutet eine Art Kleinkrieg gegen die PKK und die Kurden, ähnlich einer Besatzungsarmee im Feindesland, mit extrajudikalen Hinrichtungen, Deportationen, der seit der Mitter der 80-er Jahre, die ganzen 90-er Jahre und teilweise bis heute. Es gibt keine offiziellen Zahlen oder Untersuchungen. Die türkische Armee wurde dabei von paramilitärischen Einheiten aus dem Umfeld der MHP unterstützt, und von der offiziellen Politik gedeckt.
Prominente Opfer: Vedat Aydın (1991) und Musa Anter (1992).

Zurück zur Parteipolitik heute: Brüchige Allianzen gegen die AKP, wo z.B. nicht alle Oppositionsparteien Kandidaten aufstellen, um in bestimmten Wahlkreisen einem Oppositionellen den Sieg zu ermöglichen, wie Ekrem İmamoğlu in Istanbul oder Mansur Yavaş in Ankara – beide von der CHP.

Die HDP ist zwar nicht formell verboten, aber praktisch außer Gefecht – auf national-parlamentarischer Ebene.
Wo sie nach wie vor einflußreich ist, sind die Regionalverwaltungen. Dort wurden und werden die gewählten Vertreter abgesetzt und durch Zwangsverwaltungen ersetzt.

Dieses Aushebeln der Demokratie durch Ausnahmeregelungen hat auch mit der Schwierigkeit des Parteiverbots-Verfahrens zu tun.
Seit dem Militärputsch von 1980 wurden alle Parteiverbote, auch die gegen Erbakans verschiedene Parteien, immer vom Militär angeregt und durchgesetzt. Es hätte eine schiefe Optik, wenn die AKP sich jetzt auch dieses Verfahrens bedient.

Die HDP ist nicht nur in den kurdischen Gebieten stark, sondern vor allem in Istanbul, wo 3-4 Millionen Kurden leben. Nur dankt der HDP-Unterstützung konnte İmamoğlu die Bürgermeisterwahl gewinnen.
Erdoğan bzw. die AKP versuchen immer, die Opposition an der kurdischen Frage zu spalten, nach dem Motto „Teile und Herrsche“.
Das ist ihm beim Einmarsch in Nordsyrien vorigen Herbst gelungen – die CHP-Führung unterstützt ihn.
Der rechtskonservative Block ist für jede Partei schwer zu spalten. (Gibt es überhaupt eine Partei, die das wollte?)

Noch einmal zur MHP – auf wieviel Prozent kommt die bei Wahlen? Schwer zu sagen, weil 1. läßt sie sich ihre Koalition mit der AKP nicht in Ministerposten abgelten, sondern die will Schlüsselpositionen in Militär, in der Polizei und im Geheimdienst – die sie auch erhält. Auch so eine Art Blockwarte, Informanten in Stadtteilen und in Dörfern werden häufig mit MHP-Mitgliedern besetzt.
Dafür verzichtet sie auf Aufstellen eigener Kandidaten und ihre Stärke ist schwer einzuschätzen. Max vermutet zwischen 10 & 20 Prozent.
Sie kontrollieren also den Gewaltapparat, und das kann sogar für die AKP einmal zu Scherereien führen.

DIE ARMENIER UND DER VÖLKERMORD
Nach der Ermordung von Hrant Dink 2007 strömten mehr als 100 000 Leute zu dem Begräbnis mit dem Slogan: „Wir sind alle Hrant – wir sind alle Armenier“. Das zeigte zumindest Unzufriedenheit mit der bisherigen Behandlung der Armenier.

Meine Vermutung, Armenier in der Türkei müßten notwendig eher links sein, wurde von Max zurückgewiesen. Er verweist auf den Journalisten Etyen Mahçupyan, der Davutoğlu nahesteht und in AKP-nahen Zeitungen tätig war bzw. ist. Er wurde übrigens nach Hrant Dinks Ermordung dessen Nachfolger als Redakteur der armenisch-türkischen Zeitung Agos.

Es gab einmal eine Phase, in der Erdoğan an einem guten Verhältnis zur EU interessiert und deshalb zu Kompromissen in der Armenierfrage bereit war, aber das war in der Türkei schon aus innenpolitischen Koalitionserwägungen nicht machbar.
Der Politiker Doğu Perinçek von der Eurasier-Abteilung wurde in der Schweiz wegen Genozidleugnung verurteilt, und er ist beileibe nicht der radikalste Gegner der Anerkennung eines Genozids.

Einiges zum GENOZIDBEGRIFF überhaupt
Genozid zum Unterschied von Krieg, wo ja auch massenhaft Menschen umgebracht werden, was aber kein Verbrechen sein darf.
Genos – was ist das?
Die Frage des Vorsatzes

Fortsetzung folgt: Die armenische Problematik und andere Dauerbaustellen der türkischen Politik

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