Streifzug durch eine Wiener Gstettn – Bauprojekt Engerthstrasse 216, 1020 Wien

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  • Streifzug durch eine Wiener Gstettn
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Trotz Klimawandel und Grünpolitik wieder neue Betonwüste in der Leopoldstadt geplant –
Die „Grünen“ winken in internen Absprachen durch – ohne die Einwände der BürgerInnen ernst zu nehmen

Die Nachrichten bezüglich neuer Hitzerekorde und Jahresdurchschnittswärmerekorde überschlagen sich. Im diesjährigen Sommer – aber nicht nur da – haben wir die Auswirkungen drastisch zu spüren bekommen, vor allem als BewohnerInnen von größeren Städten wie Wien.

Was als Gegenmaßnahmen gegen die Erwärmung in Städten hilft, sind Grünanlagen, Parks, Bäume, Sträucher, grün, grün und nochmals grün.

Stadtplaner anderer europäischer Städte wie beispielsweise Paris folgen diesem Diktum und implementieren beispielsweise „hängende Gärten“ um das städtische Kleinklima zu verbessern.

 

Aber auch die Wiener Wählerinnen und Wähler haben verstanden, dass eine kräftigere Vertretung derjenigen Partei, die sich Umweltproblemen annimmt, im Gemeinderat vonnöten ist.

Und trotzdem, es hilft nichts: In Wien soll nun die nächste Betonwüste entstehen, – neben der Teil-Bebauung der Krieau und der Errichtung des WU-Campus, wo auf Grünland des Praters zugegriffen wurde und wird – auf dem Areal der ehemaligen Erzherzog-Wilhelm-Kaserne, eingekreist von der Vorgartenstraße / Kafkastraße / Engerthstraße. Die Erhaltung eines „Gstetten“juwels mit entsprechender Flora und Fauna muss wirtschaftlichen Interessen weichen. Wieder einmal. Trotz Artenschutztagen 2015 und Stadtentwicklungsplan (STEP 2025).

 

Die Wiener Bezirksvertretung der „Grünen“ in der Leopoldstadt schwächelt in dieser Angelegenheit enorm: entgegen den (Wahl)versprechungen der „Wiener Grünen“, sich für Maßnahmen zur Verbesserung des städtischen Kleinklimas stark zu machen, winkte sie in einem „internen“ (vulgo: „gemeuschelten“) Bezirksvertretungstreffen mit dem Bauträger (ARE, Tochtergesellschaft der BIG) ein neuerliches Bauvorhaben durch und zwar: noch bevor ein reguläres Flächenumwidmungsverfahren mit zugehöriger Gemeinderatssitzung samt vorangehendem Ausschuss stattgefunden hat. Das bedeutet, dass auf die rechtmäßig von Anrainern und Behörden (u.a. auch von der Umweltanwaltschaft) eingebrachten Einwendungen gegen dieses Bauprojekt bis dato keinerlei Rücksicht genommen wurde. Auf Nachfrage bei den Wiener Bezirks“Grünen“ erhält man dann saloppe Antworten, dass es sich bei diesem Projekt um eine „schon längst beschlossene Sache handle“[1] und auf Nachfrage im Büro des Umweltsprechers der Grünen wird man dann unter Verweis auf „das bereits genutzte Recht zu einem Gespräch mit der Vertreterin der Bezirksgrünen“ und „dass man drüber hinaus kein Recht auf Information mehr habe, auch nicht auf die Beantwortung einer mail“ schon an der Hotline abgewürgt.[2]

Für eine Partei, der die „Gstetten“- und Biotopkartierung wegen der Erhaltung der darin vorkommenden Flora und Fauna 1990 noch ein umfangreiches Projekt wert gewesen war, bei dem angesehene Biologen und Biologinnen mitgearbeitet haben, ist das eine Schande[3]. Für eine Partei, die sich faire demokratische Prozesse, BürgerInnenbeteiligung und aktive Maßnahmen zur Verbesserung des städtischen Kleinklimas auf ihre Fahnen heftet, ebenso.[4]

 

Das Areal, auf dem die ehemalige Wilhelmskaserne stand, ist ca. 29.300 m2 groß. Die Kaserne wurde 2005 geschliffen und in den folgenden Jahren bereits einer massiven Wohnbaunutzung zu geführt. Zwischen 2007 und 2009 sind insgesamt vier Wohnhäuser mit 446 Wohnungen und zusätzlich 225 geförderte Heimplätze für betreutes Wohnen und zusätzliche Einrichtungen für die soziale und technische Infrastruktur entstanden. Dabei wurden bereits 23.550 m² verbaut. Der „Schaffung von leistbarem Wohnraum“, wobei auf Grünflächen so rudimentär Rücksicht genommen wurde, dass die im verbauten Areal ansässigen Kinder schon jetzt vorwiegend auf Asphaltflächen spielen müssen, ist damit auf diesem Areal Genüge getan. Außerdem sollen hier sog. gemeinnützige Genossenschaftswohnungen entstehen, wo die Frage angebracht ist, wer sich Baukostenanteile ab 20.000 Euro wird leisten können. Geflüchtete (Familien) höchstwahrscheinlich nicht.

 

Eine – vergleichsweise ohnehin kleine – Fläche von rund 5.700 m2 ist als Grünbereich auf obigem Areal übrig geblieben. Es handelt sich dabei im Moment noch um Brachland, wo sich eine weitgehend naturnahe Ruderalvegetation („Gstettn“) mit üppigem, alten Baumbestand (Kastanien-, Obstbäume, Eschen, Fichten, Pappeln, Birken, Sanddornsträucher, Kerzenwacholder, etc.) und entsprechender Fauna (Mittelspecht, Fledermäuse, etc.) entwickeln konnte.[5] Durch die Öffnung und Pflege dieses Areals könnte für die anwohnenden Kinder – und natürlich auch für die übrigen Bewohner – eine Erholungs- bzw. Freizeitoase geschaffen werden, welche die Lebensqualität sowie das städtische Kleinklima positiv beeinflussen würde. Sogar im Erläuterungsbericht der MA 21 ist angeführt, dass sich „(…) aus dem vorhandenen Vegetationsbestand positive Auswirkungen auf das städtische Kleinklima ergeben“. [6] All das wird aber von Seiten der Politik und Baugesellschaften vom Tisch gewischt und entgegen den Beanstandungen der Anrainer und den im Erläuterungsbericht angeführten Auflagen zur Nutzungsdurchmischung des Areals, soll nun auch diese Fläche mit Wohnblöcken und (soweit aus den Plänen ersichtlich) einem Parkhaus zugebaut werden. Zu diesem Zweck wird am 23. September 2015 voraussichtlich einer entsprechenden Flächenumwidmung im Gemeinderat zugestimmt werden (9. September 2015: Gemeinderatsausschuss).

 

Durch das geplante Bauvorhaben sind aber drastische Auswirkungen auf das städtische Kleinklima inklusive CO2-Emissionen (Tiefgarage, Parkhaus), Boden- und Grundwassersituation zu erwarten.

 

 

Die anlässlich des Architekturwettbewerbs für das gegenwärtige Areal veröffentlichten Bilder zeigen die geplanten Betonblöcke, die nun statt einer Grünzone vorgesehen sind:

 

Die hier abgebildeten schmucken Bäume gehören noch zum Areal der gegenüber befindlichen Liegenschaft und existieren schon seit Jahren.

Sie können daher nicht lobend dem neuen, erst geplanten Bauprojekt, das vor allem aus Häusern besteht, zugerechnet werden.

 

„Gärtnerisch ausgestaltete Flächen sowie Flächen von mehr als 12 m² als begrünte Flachdächer“ sowie „verbleibende Erdkerne mit einer Tiefe von 1,65 Meter“, die – wie zum Trost – im Erläuterungsbericht angeführt und anstelle dessen entstehen werden, sind mit der derzeitigen Situation nicht im Geringsten vergleichbar.

 

Es ist vielmehr zu befürchten, dass Bäume, die zu den sog. „Tiefwurzlern“ (wie z.B. die Esche) gehören, hier aussterben. Ihnen reicht eine Erdkerntiefe von 1,65 Meter bei weitem nicht aus, um ein adäquates Höhenwachstum zu erreichen. Sie sind aber speziell für das Regenwassermanagement von großer Bedeutung. Statt auf die Erhaltung von alten Bäumen, wird auf das Herstellen von begrünten Flachdächern und neuen Baumreihen gesetzt. Letztlich ist zu befürchten, dass Grünflächen komplett aus dem Gebiet verschwinden werden.

Ein Verweis auf den Prater, das rechte Donauufer oder die Donauinsel als nahegelegene Erholungs- und Grüngebiete, wie sie im Erläuterungsbericht angeführt werden, ist eine beinahe zynische, in jedem Fall aber unzulässige Vereinfachung: (Klein)Kinder können diese Regionen nicht ohne ihre Eltern aufsuchen und das Auflockern von innerstädtisch hohen Versiegelungsgraden ist damit nicht gewährleistet. Zum Prater muss ergänzt werden, dass dieser durch den neuen WU-Campus, das geplante Bauvorhaben an der Krieau – Trabrennbahn und zusätzliche Bebauungen („Rondo“ am Prater, etc.) ohnehin nur mehr eingeschränkt als Erholungsgebiet bezeichnet werden kann.

Außerdem geht es bei der Klimawandelanpassung einer Stadt wie sie der Stadtentwicklungsplan STEP 2025 vorsieht und wozu die genannte Liegenschaft gehört, gerade um die Erhaltung bzw. Schaffung solcher Grünflächen, die zwischen bereits bestehenden Verbauungen existieren. Was also dringend notwendig ist, ist die Erzielung von geringeren Versiegelungsanteilen, erhöhten Baumbepflanzungen, mehr Beschattung, ein besseres Regenwassermanagement und ein insgesamt höherer Durchgrünungsgrad.

Durch das geplante Bauvorhaben wird darauf keine Rücksicht genommen, wodurch Begriffe wie „quantitative und qualitative Freiraumkennwerte“, „Stadtgrün, Stadtklimaanlage“, wie sie dem STEP 2025 zu entnehmen sind, zu bloßen Schlagworten verkommen.

 

Sollte dieses Bauvorhaben umgesetzt werden, ist außerdem mit einer dramatischen Beeinträchtigung der Boden- und Grundwassersituation zu rechnen. Fraglich bleibt nämlich, ob durch die zusätzlich entstehenden Abwässer das Kanalsystem in diesem Bereich überlastet wird und die Abfuhr der Wässer einwandfrei gewährleistet werden kann. Auch die durch die geplanten Tiefgaragen und durch das Parkhaus zusätzlichen CO2 – Emissionen tragen sicherlich nicht zur Verbesserung der Lebensqualität der Anrainer und in der Stadt bei.

 

Ziel der Raumplanung muss es sein, die vorhandenen Flächen sinnvoll zu nutzen und dabei

durch gezielte Maßnahmen die Lebensqualität der Bürger und Bürgerinnen zu erhalten bzw. zu steigern. Unstrittiger Weise gehört auch die Schaffung oder Erhaltung unverbauter Flächen und von Grünland dazu. Bezüglich der Verbauung der Leopoldstadt, resp. des Gebietes in der Engerthstraße / Kafkastraße / Vorgartenstraße sind nicht einmal massive Umbauarbeiten notwendig, sondern es müsste lediglich der Ist-Zustand belassen werden.

 

Noch besteht für die Stadt Wien die Möglichkeit, auf ihre Einwohner Rücksicht zu nehmen und die Einwände der Anrainer gegen das geplante Bauvorhaben zu Wort kommen zu lassen. Sollte das nicht möglich sein, kann man als Betroffene seines Glaubens an demokratiepolitisch intakte Vorgehensweisen zugunsten der Interessen von Baulobbys oder undurchsichtiger „interner Machenschaften“ schon mal verlustig gehen.

 

[1] Telefonat mit Frau Lichtenegger, Bezirksvertreterin der Grünen in der Leopoldstadt vom 18.08.2015

[2] Telefonat mit der Hotline der Grünen Vertretung im Parlament vom 02.09.2015

[3] Biotope Landschaften Utopien Bewusst Beleben. (Hrsg.): Presse und Informationsdienst der Stadt Wien. MA 22 und ARGE Biotopkartierung. Styria, Graz, 1990.

[4] Ein zumindest ausführliches und freundliches Telefonat mit dem „Büro der Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung“ gab es auch. Die Conclusio war aber auch hier, dass man leider nichts mehr machen kann, es handle sich „um eine schon längst beschlossene Sache“.

[5] Diese Liegenschaft ist derzeit noch dem Bauen für Bürogebäude gewidmet und soll nun in „Bauland für Wohnbauten“ umgewidmet werden. Dass dieser Bereich Bürogebäuden gewidmet ist, liegt an der vorgegeben Durchmischung der Bauten, die es einzuhalten gilt. Nur: Nachdem schon jetzt 60 % der neu gebauten Bürogebäude leer stehen, ist mit einer weiteren Bebauung des Gebiets – sollte diese Flächenwidmung bleiben – vorerst nicht zu rechnen.

[6] Erläuterungsbericht 1-FB zur Festsetzung des Flächenwidmungsplanes und Bebauungsplans – Plan Nr. 8148 der MA 21 für obiges Gebiet vom 5. Februar 2015 – Abschnitt „Umweltsituation“. S. 4. (im Folgenden kurz „Erläuterungsbericht“).

Bilder

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